Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen: Teil 2 der FSA-Interviewreihe
Die Interviewreihe „Fußball ohne Grenzen“ des Fußballverbandes Sachsen-Anhalt (FSA) geht in die nächste Runde. Zum heutigen „Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung“ wurde mit Markus Stein, Inklusionsbeauftragten des FSA, und Henning Becker, Inklusionsschiedsrichter und -Trainer, über ihre Leidenschaft zum Fußball gesprochen. Sie verraten dabei, welche ihre besonderen Erlebnisse waren und welchen Herausforderungen sich der Inklusionsfußball in Sachsen-Anhalt stellen muss.
©FSA / Stefanie Dreißig (m.) führte im zweiten Teil der Themenreihe ein Interview mit Markus Stein, Inklusionsbeauftragten des FSA (r.), und Henning Becker, Inklusionsschiedsrichter und -Trainer (l.).
Markus, woher kommt deine Leidenschaft zum Fußball?
Markus Stein: Diese ist vorhanden, seitdem ich denken kann. Mit fünf Jahren habe ich in meinem Heimatverein, dem SV Cochstedt 1930, mit dem Kicken begonnen. Leider konnte ich nur bis zum Alter von 9 Jahren spielen, da bei mir ein Osteosarkom (Knochenkrebs im Oberschenkel) diagnostiziert wurde. Trotz dieser Erkrankung, wodurch mein Knie durch ein künstliches Kniegelenk ersetzt werden musste, habe ich meine Mannschaft weiter begleitet, auf Krücken auch ab und an mal mittrainiert. Im Alter von 15 Jahren habe ich dann meine Tätigkeit als Trainer begonnen. Heute bin als Jugendleiter bei der SG Schneidlingen/Cochstedt aktiv, um in der Region den Fußball nachhaltig zu gestalten. Durch meine eigene Einschränkung entwickelte sich meine Leidenschaft und der Antrieb für mein Engagement im Fußball und das Thema Inklusion.
Du bist seit Oktober 2022 als Inklusionsbeauftragter für den FSA tätig. Was hat sich in den letzten beiden Jahren im Inklusionsfußball getan und welche Projekte werden derzeit beim FSA durchgeführt?
M.S.: Der Fokus lag nach der Pandemie darin, bereits bestehende Fußballangebote vom BSSA, den Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Förderschulen und Special Olympics zu unterstützen, sowie eigene Angebote zu schaffen, oder wieder aufleben zu lassen, um Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit zu bieten Fußball spielen zu können.
Es gelang mit Hilfe der Sepp-Herberger-Stiftung und dem DFB, eine Trainerfortbildung für Inklusionsfußball zu entwickeln, bei der wir in 20 Lerneinheiten interessierte Trainer*innen das Thema Inklusion, sowie den Umgang und das Trainieren mit Menschen mit Beeinträchtigung näherbringen können. Nahezu jeder Trainer arbeitet inklusiv. Den wenigsten ist dies allerdings bewusst. Es geht darum, aus verschiedenen Individuen mit verschiedenen Bedürfnissen und Leistungsniveaus eine Gruppe zu formen, die gemeinsam, mit Freude, Fußball spielen. Zudem haben wir, gemeinsam mit den Fußballverbänden aus Bayern und Thüringen, eine Schiedsrichterausbildung für Menschen mit Beeinträchtigung geschaffen. Dort wird den Teilnehmenden niedrigschwellig die Tätigkeit als Schiedsrichter nähergebracht. Weiterhin bieten wir Vereinen die Möglichkeit einen „Tag der Inklusion“ zu veranstalten. In diesem Jahr hat dies beim SV Fortuna Schneidlingen und dem SC Naumburg stattgefunden. Dort organisieren wir u.a. ein inklusives Fußballturnier, wo Menschen mit und ohne Beeinträchtigung teilnehmen können. Durch das Engagement des Bereiches Breitensport vom Kreisfachverband (KFV) Saalekreis wurde im letzten Jahr erstmalig ein inklusives Jugendturnier durchgeführt, welches aus gemixten Teams von Förderschulmannschaften und Jugendmannschaften von Vereinen bestand. Der SV Eintracht Gröningen hatte im letzten Jahr ihr Projekt „Eintracht Grenzenlos“ ins Leben gerufen. Inhalt dieses Projektes war u.a. ein Tag der Inklusion mit Bubblesoccer-Turnier, DFB-Schnupperabzeichen, Stationen zur Alters-Simulation und vieles mehr. Und seit zwei Jahren organisiert der KFV Burgenland regelmäßig größere Inklusionsturniere, bei denen Mannschaften aus ganz Sachsen-Anhalt und dem Norden Thüringens anreisen. Dies sind u.a. einige Leuchttürme im Bereich Inklusion, für deren Engagement ich unglaublich froh und dankbar bin.
Was sind deine Ziele als Inklusionsbeauftragter beim FSA?
M.S.: Mein Ziel ist es diejenigen Personen, die eine Leidenschaft für den Fußball in sich tragen, die Chance zu ermöglichen, dieser nachgehen zu können bzw. eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Dabei darf Herkunft, Alter, Geschlecht oder das Vorhandensein einer Beeinträchtigung jeglicher Art keine Rolle spielen. Ein großes Ziel ist zudem, eine Art organisierten Spielbetrieb zu entwickeln, Bspw. regelmäßige Spielrunden, Turnierformate oder ein Ligasystem.
Welche Hürden siehst du aktuell für den Inklusionsfußball?
M.S.: Die größte Herausforderung ist der Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen bspw. gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung bzw. gegenüber Menschen, die als „anders“ oder „speziell“ betrachtet werden, egal in welcher Hinsicht. Der Fußball wird weiter einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft behalten. Er kann ein großes Stück dazu beitragen, gesellschaftliche Barrieren und Vorurteile abzubauen. Durch die Paralympics in Paris oder den Special Olympics World Games in Berlin wurde gezeigt, was möglich ist. Der öffentliche Focus, der auf diese Events gelegt wurde, und die Art der Übertragung haben sehr dabei geholfen, ein anderes Bild von Menschen mit einer Beeinträchtigung zu vermitteln und zu welch enormen sportlichen Leistungen sie im Stande sind.
"Es gibt leider als Inklusionsmannschaft viel zu wenig Möglichkeiten für Freundschaftsspiele"
Henning, woher kommt deine Leidenschaft zum Fußball?
Hennig Becker: Meine Leidenschaft zum Fußball entwickelte sich in meiner Jugend durch die Gründung einer Fußball-AG bei meinem früheren Verein. Später wurde ich dann vom PSV Burg aufgenommen. So entwickelte sich meine Leidenschaft für alles das, was ich jetzt mache. Fußball selbst habe ich nie richtig gespielt.
Du bist als Trainer und auch als Schiedsrichter ausgebildet. Kannst du uns etwas über diese Ausbildungen erzählen? Wie bist du dazu gekommen?
H.B.: Was den Schiedsrichter betrifft, habe ich es alles Markus (Markus Stein / Anm. Red.) zu verdanken. Ich freue mich, dass Markus an mich geglaubt hat und zu dieser Ausbildung mitgenommen hat. Obwohl mein Herz eher für den Trainer und weniger für den Schiedsrichter schlägt. Ich bin lieber der, der an der Seitenlinie steht und auch mal rummeckert. Und es selbst auf dem Feld mitzubekommen, ist schon eine Herausforderung. Danach habe ich den Basis-Coach-Lehrgang beim FSA erfolgreich bestanden. Damit wollte ich bewiesen, dass ich was kann, wenn man mir nur vertraut und mich nicht nur auf meine Behinderung reduziert. Die Referenten im Basiscoach waren eine eins plus mit Sternchen. Sie haben mich so genommen, wie ich bin. Das hat mir ein großes Stück weitergeholfen. Auch von den Leuten der Lebenshilfe und vom Vorstand des PSV Burg habe ich während dieser Zeit viel Vertrauen und Unterstützung bekommen. Oftmals werden behinderte Menschen in Deutschland noch in eine Schublade gepackt und das ist noch sehr ausgeprägt.
Wie geht’s dir damit, dass du das geschafft hast?
H.B.: Mir geht’s sehr gut damit. Ich habe mir auch selbst damit etwas bewiesen. Die Schwierigkeiten, die ich wegen dem Übungsleiterschein hatte, haben sehr an meinem Selbstbewusstsein geknabbert und mich niedergerungen. Es bleibt die Erinnerung, dass Menschen auch richtig bösartig sein können. Es ging ja nicht nur gegen mich, sondern auch gegen die Menschen, die mir nur helfen wollten. Das war mir eindeutig ein bisschen zu viel. Durch Markus ging es aber wieder bergauf. Jetzt bin ich zufrieden und brauch erstmal Erholung. Die zwei Ausbildungen reichen mir erst mal für eine Weile *lacht*.
Du bist als Inklusionsschiedsrichter für den FSA auf den Plätzen in Sachsen-Anhalt unterwegs. Unabhängig vom Inklusionsschiedsrichter: was würdest du dir für den Inklusionsfußball wünschen?
Ich möchte gern die Erfahrungen mehr teilen. Es gibt leider als Inklusionsmannschaft viel zu wenig Möglichkeiten für Freundschaftsspiele, weil so viele Vorurteile uns gegenüber bestehen. Ich stoße oft an meine Grenzen, Mannschaften zu finden, die sagen „ja na klar, wir machen es.“. Leider melden sich die Vereine auf meine Nachfrage meist gar nicht erst zurück. Klar, ist es komisch, wenn einer kommt und fragt, ob man Lust hat, ein Spiel gegen eine Inklusionsmannschaft zu spielen, bei der die Spieler*innen Besonderheiten haben. Da wünsche ich mir Offenheit bei den Vereinen und auch das mehr geschult wird. Ich bin auch gern bereit Aufklärungsarbeit zu leisten und vorher genau zu beschreiben, welche Einschränkungen und Bedürfnisse meine Kinder haben. Und auch dafür zu erben, zu sagen: „Hey, Inklusion ist gar nicht so schlimm, wie es sich manchmal anhört.“ Denn es kann klappen, dass behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen in einer Mannschaft Fußball spielen, wenn nur das Vertrauen in diese Menschen da ist. Ich sehe tagtäglich, dass es gelingt!
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Am 20.12.2024 erscheint zum „internationalen Tag der Solidarität“ der dritte Teil unserer Interviewreihe „Fußball ohne Grenzen“. Für dieses Interview konnten wir Tobias Petzke, Fair Play-Beauftragter beim FSA, als Gesprächspartner gewinnen.