Zero Discrimination Day: Teil 6 der FSA-Interviewreihe

Zum „Zero Discrimination Day“ (01.03.) haben wir unsere beiden Vertrauenspersonen des Fußballverbandes Sachsen-Anhalt (FSA) zum Interview eingeladen. Lex und Sam sind seit Oktober 2023 als Ansprechpartner für tian* Personen im Verband tätig. Beide berichten über persönliche Erfahrungen, gesellschaftliche Wahrnehmung und ihre Aufgaben als Vertrauenspersonen im Kontext Fußball.   

  1. Persönliche Erfahrungen, Unterstützung und Gemeinschaft:

Gab es besondere Herausforderungen, die du als tian* (= trans, inter, agender oder nicht-binäre) Person im Fußball erlebt hast? Falls ja, was motiviert dich, dennoch im Fußball aktiv zu sein?

Sam: Als nicht-binäre trans Person im Fußball gab und gibt es viele Herausforderungen und Zugangshürden für mich. Diese reichen von binär nach männlich und weiblich getrennten bzw. organisierten Ligen, über dem im Sport typischen Fokus auf den Körper, die geschlechtergetrennten Umkleiden, Toiletten und Duschen, die zu körperlichem Unwohlsein und der Aberkennung des eigenen Geschlechts führen können, bis hin zur Diskriminierung, welche sich in nonverbaler sowie verbaler Gewalt äußern kann und auf und neben dem Platz sowohl von Gegner*innen als auch von Coaches, Vereinsmitgliedern, Schiedsrichter*innen oder Fans der gegnerischen Teams ausgeübt wird.

Vor allem meine Teamkolleg*innen in meinem FLINTA* (Frauen, Lesben, inter, nicht-binär, trans und agender Personen)-Team des Roten Stern Leipzigs tragen dazu bei mich, trotz der zahlreichen Herausforderungen, in der sächsischen Fußballlandschaft wohl zu fühlen und weiterhin Spaß am Fußball spielen zu haben. Gemeinsam haben wir eine inklusive Struktur für tian* Personen geschaffen, wie z.B. all-gender Umkleiden, Einzelduschen, Prioregelungen bei der Aufnahme von marginalisierten Personen oder regelmäßige Namens- und Pronomenrunden vor dem Training. Wir haben Sicherheitskonzepte, wie eine Exit-Strategie entwickelt, welche wir bei Diskriminierung auf dem Spielfeld anwenden und positionieren uns klar gegen Diskriminierung, was u.a. in unserem Selbstverständnis verankert ist. Wir als FLINTA*-Fußballsektion fördern die Sichtbarkeit von tian* Personen, etwa durch die Einladung zur Übernahme von Vereinsfunktionen, die proaktive Ansprache von tian* Personen über unsere Website oder mit Turnieren und anderen Veranstaltungen, die sich explizit mit dem Thema geschlechtlicher Vielfalt im Fußball auseinandersetzen. Außerhalb der FLINTA*-Fußballsektion gibt es jedoch weiterhin große Fehlstellen, besonders was die Sicherheit von tian* Personen auf und neben dem Platz angeht. 

  1. Regelungen und Spielrecht:

Wie empfindest du die aktuellen Regelungen des DFB bezüglich des Spielrechts für tian* Personen?

Sam: Seit der Saison 2022/2023 hat der DFB seine Spielordnung so angepasst, dass tian* Personen entsprechend ihrer Identität entscheiden können, ob sie in der Frauen- oder Männer-Spielbetrieb spielen möchten (§ 10 DFB Spielordnung Nr. 6 bis 8). Teil dieser Regelung ist, dass die Landes- und Regionalverbände verpflichtet sind, für ihre Spielklassen eine ehrenamtliche Vertrauensperson zu benennen, die als zentrale Ansprechperson im Zusammenhang mit der Spielberechtigung für tian* Personen fungiert. Diese Regelung stellt einen wichtigen Schritt in Richtung Inklusion und Anerkennung der Bedürfnisse von tian* Personen dar. Dennoch bleibt festzuhalten, dass strukturelle Probleme im Fußball nicht nur durch einzelne Regelungen oder Personen gelöst werden können. Es bedarf eines umfassenden Systemumbruchs und der Schaffung neuer, flexibler Strukturen, die nicht nur von oben herab, sondern in Zusammenarbeit mit den betroffenen Personen entwickelt werden. Veraltete Strukturen im Sport, die oft aus traditionellen Vorstellungen von Geschlecht und Leistung bestehen, erfordern eine grundlegende Veränderung. Solange diese alten Muster weiter bestehen, wird es schwierig sein, wirklich eine gerechte und nachhaltige Teilhabe für tian* Personen zu gewährleisten.

Was genau sind eure Tätigkeitsfelder in dieser Position?

Sam: Zu unseren Hauptaufgaben als Vertrauenspersonen gehören:

Beratung und Unterstützung: Wir stehen tian* Personen zur Verfügung, um sie durch den Prozess der Passantragsstellung zu begleiten und ihnen bei Fragen oder Unsicherheiten zu helfen. Dabei handeln wir stets nach den Bedürfnissen der Betroffenen.

Sensibilisierung und Aufklärung: Wir arbeiten aktiv daran, das Bewusstsein für LGBTIQ+-Themen zu stärken und Aufklärungsarbeit im Verband und Vereinen zu leisten.

Weshalb braucht es in euren Augen eine Vertrauensperson?

Sam: Eine Vertrauensperson ist eine wichtige und sichere Anlaufstelle für tian* Personen, insbesondere in einem System, das weiterhin mit strukturellen Herausforderungen zu kämpfen hat. Als Vertrauensperson stehen wir nicht nur beratend zur Seite, sondern sorgen auch dafür, dass die Rechte von tian* Personen im Rahmen der DFB-Spielordnung gewahrt werden. Des Weiteren bieten wir einen vertraulichen Raum, in dem sensitive Themen, wie persönliche Daten oder Konflikte innerhalb des Teams angesprochen werden können. Darüber hinaus helfen wir dabei, das Vertrauen in die Regularien des DFB zu stärken und den Dialog zwischen den betroffenen Personen und den offiziellen Stellen zu fördern. Für uns als Vertrauenspersonen ist es essentiell, dass wir in unserer Arbeit ausreichend unterstützt werden – sowohl durch den Verband als auch durch externe Dachverbände, wie den LSB und den DFB. Leider fehlt hier häufig die aktive Unterstützung oder das nötige Wissen, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken. In vielen Fällen fühlen sich Dachverbände nicht zuständig oder sind mit den speziellen Anliegen von trans*, inter* agender und nicht-binären Personen überfordert.

Wie können euch betroffene Personen erreichen?

Wir sind über folgende Mailadresse erreichbar:

vertrauensperson@fsa-online.de

Wichtig ist dabei, dass die Kommunikation und der Umgang miteinander auf einer vertraulichen und respektvollen Basis stattfindet und die Bedürfnisse der betroffenen Person für uns immer Priorität haben. 

  1. Sichtbarkeit und Repräsentation:

Wie wichtig ist es für dich, dass tian* Personen im Fußball sichtbar sind?

Lex: Meiner Wahrnehmung nach sind tian* Personen im Sport zunehmend sichtbarer, insbesondere in den letzten Jahren, da das Bewusstsein für Geschlechtervielfalt und Inklusion wächst. Viele Sportverbände und Organisationen haben begonnen, Richtlinien zu entwickeln, die es tian* Athlet*innen ermöglichen, an Wettkämpfen teilzunehmen. Dies ist alles andere als selbstverständlich, was sich bspw. an den aktuellen Ausschlussdekreten von Transpersonen aus dem Mädchen- und Frauensport in den USA zeigt.

Doch Sport sollte für alle zugänglich sein, unabhängig von der Geschlechtsidentität. Insbesondere für marginalisierte Gruppen ist es wichtig, am Sport teilzunehmen, um ein Gefühl der Zugehörigkeit und Akzeptanz zu fördern. Für tian* Personen kann Sport außerdem helfen, das Selbstbewusstsein zu stärken und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.

Für mich persönlich gab es nicht wirklich eine andere Wahl als die in einem FLINTA* Team aktiv zu sein. Hier fühle ich mich gleichberechtigt behandelt und kann davon ausgehen, dass meine Mitspieler*innen sensibilisiert sind in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt. In reinen Frauenteams, in denen ich zuvor gespielt habe, gab es keinerlei Bewusstsein für die Thematik, was letztlich häufiger zu Diskriminierung führte. Sporttreiben war dann keine Kraftquelle mehr, sondern im Gegenteil war die Benachteiligung so hoch, dass die psychische Belastung zunahm. Jetzt, da ich nicht mehr länger allein als tian* Person auf dem Platz stehe, fühle ich mich wieder sicher und gesehen.

Welche Rolle spielen Medien und Öffentlichkeitsarbeit in der Förderung von Vielfalt im Sport?

Lex: Medien und Öffentlichkeitsarbeit spielen definitiv eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Akzeptanz von tian* Personen. Zum einen kann allein die Sichtbarkeit von tian* Personen in den Medien als Inspiration und Vorbilder für andere tian* Personen dienen. Profisportler*innen, die offen über ihre Identität sprechen, können anderen Mut machen, aktiv am Sport teilzunehmen. So haben sie nicht nur in ihren jeweiligen Sportarten Erfolge erzielt, sondern auch dazu beigetragen, das Bewusstsein für die Herausforderungen und die Bedeutung der Inklusion von tian* Personen im Sport zu erhöhen. Ein Beispiel dafür ist der*die kandadische Spieler*in Quinn, die als erste offen nicht-binäre trans Person an den Olympischen Spielen teilgenommen hat. Quinn hat sowohl auf Vereinsebene als auch international beeindruckende Leistungen gezeigt und ist bekannt für deren Engagement für die Rechte von LGBTQIA*-Personen im Sport, was dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für Geschlechtervielfalt im Fußball zu erhöhen.

Auf der anderen Seite sind die Diskussionen über Chancengleichheit im Sport oft sehr emotional und polarisiert. Oft gibt es Bedenken hinsichtlich der Fairness im Wettbewerb. Dabei wird in der Mehrheit argumentiert, dass insbesondere trans Frauen, die in der Frauenkategorie antreten, einen biologischen Vorteil haben könnte. Meist fehlt es jedoch an fundierten Informationen über die Auswirkungen von Geschlechtsidentität und Hormontherapie auf die sportliche Leistung. Dies kann zu Missverständnissen und Fehlinformationen führen, die die Diskussion weiter zuspitzen. An dieser Stelle ist es besonders wichtig, Aufklärung zu leisten und nicht der sehr einseitigen Berichterstattung zu vertrauen. Denn klar sollte sein, dass die Teilnahme von trans Personen ein grundlegendes Recht ist. 

  1. Gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz:

Wie erlebst du die gesellschaftliche Akzeptanz von tian* Personen im Fußball?

Lex: Trotz der eben genannten Fortschritte gibt es noch viele Herausforderungen. Gerade Fußball wird oft als ein Bereich betrachtet, in dem traditionelle Geschlechterrollen und -normen stark verankert sind, allein die Teilnahme von tian* Personen kann diese Normen in Frage stellen, was zu Widerstand und Kontroversen führt.

Diskriminierung auf dem Platz gibt es überall, das ist keine Frage. Dennoch würde ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es in einigen Regionen mehr Vorurteile und Benachteiligung gibt, die die Sichtbarkeit und Teilnahme von tian* Personen beeinträchtigen können. Regionen mit weniger Zugang zu Informationen oder Bildung über LGBTQ+-Themen neigen dazu, höhere Diskriminierungsraten aufzuweisen. Betroffen davon sind insbesondere ländlich geprägte Regionen, wo es häufig weniger Unterstützung und Anlaufstellen für tian* Personen gibt. Vorherrschende politische Wertvorstellungen wie rechtsextreme Tendenzen können dies noch verstärken.

Ich selbst spiele nunmehr seit über fünfzehn Jahren in Thüringen und Sachsen Fußball. Dort gab es vor allem in Auswärtsspielen auf dem Land Auseinandersetzungen zwischen Spieler*innen, aber auch Schiris und das Publikum waren oft involviert. Egal, ob verbale oder körperliche Angriffe - im Kern geht es im Prinzip immer darum, der betroffenen Person das Recht abzusprechen, am Spielbetrieb teilzunehmen. Diese diskriminierenden Erfahrungen waren stellenweise so prägend für mich, dass ich öfters eine Pause einlegen musste oder mehrmals überlege, besonders wenn es zu Risikobegegnungen kommt, ob ich mitspiele.

Welche Veränderungen würdest du dir in der Fußballwelt wünschen, um die Inklusion von tian* Personen im Fußball zu verbessern?

Lex: Idealerweise sollte diese Frage gar nicht gestellt werden, würde das System Sport sich auf seine Werte wie Fairness und Inklusion berufen. Es sollte sich nicht wie eine Utopie anfühlen, wenn ich mir wünsche, dass das Geschlecht keine Rolle im Fußball spielt. Um es dennoch realistisch zu halten, wünsche ich mir in ersten Linie, dass alle Beteiligten bereit sind, sich mit Diskriminierung auseinanderzusetzen und ihre eigenen Privilegien zu reflektieren. Das ist der erste Schritt. Wenn es dann irgendwann zu einer umfassenden Sensibilisierung kommt, sind wir auf die Sportverbände angewiesen, die in der Pflicht stehen, Coaches und Schiris auch in Bezug auf Geschlechtervielfalt zu schulen. Noch heute wissen die wenigstens, dass die DFB-Regelung für Inklusion überhaupt existiert, geschweige denn wie sie umgesetzt wird. Und auch, wenn es an Wissen fehlt, wünsche ich mir dennoch den Mut, bei Diskriminierung, nicht still auf dem Platz zu verharren, sondern Situationen anzusprechen und zu melden, dafür gibt es schließlich Anlaufstellen. Ich will mich sicher fühlen können, aber das kann ich nur, wenn ich weiß, dass meine Mitspieler*innen im Ernstfall einschreiten und nicht die betroffene Person selbst zu kämpfen hat. Das gilt sowohl für die nötige Aufklärungsarbeit als auch in Bezug auf die Unterstützung bei Übergriffen. Wäre dies nicht gewährleistet, hätte ich schon lange die Fußballschuhe in den Keller gestellt.

 

Im zweiten Teil anlässlich des „Zero Discrimination Days“ sprechen wir mit zwei weiteren Personen aus dem LGBTIQ+ Umfeld. David und Noah sind als Mädchen geboren. Sie leben heute glücklich verheiratet als Männer im Süden von Sachsen-Anhalt. Das Interview erscheint am 03.03.2025.

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